ROOTS Berlin – Kreativität, Bewegung und Wissensaustausch
Heute sprechen wir mit ROOTS, eine gemeinnützige Organisation, welche die BIPoC* Community durch Kreativität, Bewegung und Wissensaustausch zusammenbringt, über die Kraft des Zusammenhalts, psychologisch sichere Räume, zwischenmenschliche Beziehungen, Selbstempathie und darüber, was ROOTS bewirken möchte.
SUMMER OF 2030 – AMELIE GR. DARRELMANN
Warum habt ihr ROOTS gegründet und was möchtet ihr erreichen oder verändern?
ROOTS BERLIN – NAIMA
Wir haben uns persönlich nach Orten gesehnt, in denen wir wir-selbst sein können und gleichzeitig das Bedürfnis gehabt, diese Räume für die BIPoC (Schwarz, Indigene und People of Color) Community zu kreieren und so begann unsere Reise. ROOTS hat sich nun über die letzten zwei Jahre weiterentwickelt. Zu Beginn haben wir uns vor allem sehr auf heilende Angebote mit Therapeut*innen konzentriert, während unsere Veranstaltungen indessen das ganzheitliche Wohlbefinden der Community in den Fokus rücken. Gemeinsam wollen wir die Umstände, in denen wir leben, beeinflussen und diese Veränderungen aktiv gestalten. Wir fördern durch unsere Arbeit Solidarität und seelisches Wohlbefinden und glauben, dass die Grundlage dafür in einem gesunden Selbstwertgefühl, der Geborgenheit der Gemeinschaft und gegenseitiger Akzeptanz liegt.
ROOTS BERLIN – ROJA
Das fehlende Angebot für marginalisierte Gruppen hat uns ermutigt, Orte zu schaffen, in denen wir auf zwischenmenschlicher Ebene zusammenkommen und gemeinsam wachsen können. Dabei liegt der Schwerpunkt für uns bei der mentalen Gesundheit von betroffenen Personen aus der BIPoC Community, die wir mithilfe von Expert*innen sowie identitäts- und bewusstseinsbildenden Kreativformaten verbessern möchten.
SUMMER OF 2030 – AMELIE
Wie sehen diese Orte, in denen ihr ihr-selbst sein könnt, aus?
ROOTS BERLIN – FILY
Die Orte, die wir gestalten, sind weniger von äußerlichen Faktoren bestimmt und mehr von einer klaren inneren Haltung. Wir organisieren Veranstaltungen basierend auf Prinzipien wie gegenseitigem Respekt, Akzeptanz und Toleranz und legen den Austausch untereinander in den Fokus. Der thematische und inhaltliche Rahmen ist gegeben, ansonsten ist jedoch vor allem der Freiraum und das Entfalten einer kollektiven Atmosphäre die Essenz der Events.
ROOTS BERLIN – CHIOMA
Dieser Ort ist kein geschlossener Raum, sondern ein inklusiver Space, der sich durch intersektionale und queere feministische Perspektiven gestaltet. Ein Space, in dem wir einander unterstützen, auch wenn und gerade weil verschiedene Realitäten aufeinander kommen. Ein Space, der jeden Tag dafür kämpft, Neues zu erlernen und zu verlernen und sich dabei aktiv gegen die heterosexistischen, rassistischen, misogynen und patriarchalen Systemstrukturen stellt. Ein Space, der sich traut, das Ego abzulegen und zu geben, weil mein Gegenüber mit demselben Purpose den Space betritt.
ROOTS BERLIN – ROJA
Die Schaffung und Aufrechterhaltung von Räumen, die frei von Verurteilung sind, stehen für uns im Mittelpunkt. Wir möchten Räume schaffen, in denen wir als diejenigen Menschen gesehen, wahrgenommen und verstanden werden, die wir sind. Daher stehen Werte wie Toleranz, gegenseitige Akzeptanz, Solidarität, Empathie, Wohlbefinden und Respekt im Zentrum unserer Arbeit. Hierbei ist es wichtig, zu verinnerlichen, dass egozentrische Verhaltensmuster in den geschaffenen Räumen beiseite gelegt werden müssen, damit die gegenseitige Unterstützung und der Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe gefördert werden kann. Wir sind davon überzeugt, dass wir nur so voneinander lernen und einen Perspektivenwechsel ermöglichen können.
SUMMER OF 2030 – AMELIE
Amy C. Edmondson* hat psychologische Sicherheit als die Überzeugung definiert, dass die Arbeitsumgebung (Umwelt) sicher genug ist, um darin zwischenmenschliche Risiken einzugehen. Sie beschreibt eine Atmosphäre, in der sich Menschen sicher genug fühlen, ihre Gedanken, Fragen und Bedenken hinsichtlich ihrer Arbeit zu äußern und damit ein zwischenmenschliches Risiko einzugehen. Doch, wie Şeyda Kurt in ihrem Buch "Radikale Zärtlichkeit” schreibt, gilt es auch bei der Äußerung von Gefühlen und Bedürfnissen innerhalb von Beziehungen, die Machtverhältnisse, die unserer Gesellschaft und unseren Verhältnissen zu anderen Menschen zugrunde liegen, nicht zu ignorieren. Für Menschen in privilegierteren Positionen, etwa für wohlhabende, weiße oder cis Personen, kann es eine viel selbstverständlichere Angelegenheit sein, ihre Bedürfnisse zu äußern. Sie schreibt weiter, dass unsere gesamte Geschichtsschreibung entlang den Interessen, den Zielen und Wünschen herrschender Gruppen und Subjekte erzählt wurde. Ihre Bedürfnisse werden seit Jahrhunderten formuliert und thematisiert, so Şeyda Kurt. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?
ROOTS BERLIN – FILY
Die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse zu äußern, ist von Person zu Person unterschiedlich. Es kann nicht allgemein gesagt werden, dass Menschen, die von Rassismus betroffen sind, diese Fähigkeit fehlt oder sie hier weniger stark ausgeprägt ist. Trotzdem stellt es ein Hindernis dar, wenn die weiße Mehrheitsgesellschaft die Bedürfnisse von Betroffenen negiert, versucht abzuschwächen oder als “nicht so schlimm” abtut. Aus diesem Grund konzentrieren wir uns darauf, Spaces zu schaffen, in denen Bedürfnisse und negative als auch positive Erlebnisse akzeptiert und gehört werden - ohne einer direkten Wertung oder Missverständnissen ausgesetzt zu sein.
ROOTS BERLIN – CHIOMA
Die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse zu äußern, ist von Person zu Person unterschiedlich, aber so wie Şeyda Kurt es beschreibt, tragen bestimmte Faktoren dazu bei, welche Grundlage ihnen gegeben wird. Oft sind es die safer Spaces, - Räume, in denen weniger Unterschiede stattfinden - die dazu beitragen, dass Menschen ihre Emotionen und Gedanken miteinander teilen. Hierbei ist auch innerhalb einer Community zu verstehen, dass es verschiedene Machtverhältnisse gibt und selbst hier verschiedene Individuen verschiedene Privilegien genießen. Wenn wir aus dieser Perspektive einen solchen Austausch verstehen und uns trauen, den Egozentrismus beiseite zu legen, dürfen wir erleben, dass es zu verhindern ist, dass diese verschiedenen Machtverhältnisse immer Gewalt ausüben müssen.
SUMMER OF 2030 – AMELIE
Aus diesen Perspektiven heraus können Konflikte (Abgrenzung zu Gewalt) eine Chance zum Wachsen und Lernen darstellen. Um dieses Potenzial nutzen zu können, braucht es gute Methoden und Raum, um Spannungen in sinnvolle Veränderung zu übersetzen. Wie schafft ihr es, Räume frei von Bewertung und Egozentrismus dauerhaft zu halten und zu moderieren?
ROOTS BERLIN – NAIMA
Ich denke, viele von uns haben Bewertung und Egozentrismus tief in uns, bewusst oder unterbewusst, verankert, besonders in Ländern, die stark auf Individualismus aufbauen. Wir bei ROOTS möchten uns immer weiterentwickeln und auch unsere Fähigkeiten im Umgang mit Konflikten verbessern. Wir nutzen verschiedene Methoden, wie z.B. gewaltfreie Kommunikation und Mediation, um einen Raum zu schaffen, in dem alle gehört werden und niemand sich ausgegrenzt fühlt. Aber es ist ein ständiger Prozess und wir lernen immer wieder dazu.
ROOTS BERLIN – ROJA
Um einen offenen und respektvollen Dialog zu ermöglichen, versuchen wir, einen vertrauensvollen Raum für alle Teilnehmer*innen zu schaffen. Dabei ist es uns wichtig, klare Richtlinien und Erwartungen für die Kommunikation innerhalb der Räume festzulegen. Unabhängig davon wünschen wir uns, dass jede Person, die sich in unseren Räumen bewegt, sich mitverantwortlich fühlt, den Raum so sicher wie möglich zu gestalten. Dies erreichen wir durch aktives Zuhören, Geduld, Einfühlungsvermögen und gegenseitiges Verständnis. Wir dulden keine Form der Diskriminierung oder Verurteilung. Die Unterstützung durch Expert*innen, die helfen, Spannungen und daraus möglicherweise resultierende Konflikte rechtzeitig wahrzunehmen und mit ausreichend Sensibilität darauf einzugehen, ist für uns essenziell. Eine gesunde und nachhaltige Dynamik innerhalb der Räume ist ein fortlaufender Prozess, welcher Übung und Wachstum mit- und untereinander erfordert. Daher stehen wir mit den Expert*innen und den Teilnehmer*innen im Austausch, um Feedback einzuholen und sowohl uns als auch unsere Arbeit kontinuierlich reflektieren zu können.
SUMMER OF 2030 – AMELIE
Ein weiterer Hebel für ein achtsames Miteinander ist ein starkes Wertegerüst, das Identifikation ermöglicht. Was sind die Kernwerte von ROOTS? Wie spiegeln sich eure Werte nicht nur im Miteinander, sondern auch in eurer Kommunikation, in Ritualen und der Ausrichtung der Organisation wider?
ROOTS BERLIN – NAIMA
Bei ROOTS sind Zusammenarbeit, Empathie und Respekt die zentralen Werte und werden sowohl intern als auch extern aktiv umgesetzt. Intern bedeutet dies, dass wir diese Werte bei der Zusammenarbeit im Team leben und uns in unserer täglichen Arbeit daran orientieren. Wir fördern eine offene Kommunikation, arbeiten gemeinsam an Projekten und behandeln uns gegenseitig mit Respekt und Wertschätzung.
Extern bedeutet dies, dass wir diese Werte in unserer Arbeit mit Partner*innen und in unseren Workshops mit der Community aktiv einbringen. Wir legen großen Wert darauf, auf Augenhöhe zu arbeiten. Durch einen empathischen und respektvollen Umgang miteinander schaffen wir eine positive Atmosphäre und fördern ein achtsames Miteinander.
ROOTS arbeitet nach dem Mutual Aid Prinzip. Das bedeutet, dass wir eine wechselseitige Wirtschaft schaffen und uns auf die gegenseitige Unterstützung in der Community konzentrieren. Bei einer Gemeinschaft, die auf Mutual Aid basiert, bilden Menschen Netzwerke, um füreinander zu sorgen und die Bedürfnisse der anderen zu erfüllen, wenn die bestehenden öffentlichen und privaten Unterstützungssysteme dies nicht leisten.
SUMMER OF 2030 – AMELIE
Eure Arbeit und Angebote tragen zu einer inneren Reise/ Transformation bei. Haltung und Kultur sind synchron mit Strukturen verbunden. Wie transformiert ihr mit eurer Arbeit die Welt bzw. was möchtet ihr auf struktureller Ebene bewirken?
ROOTS BERLIN – NAIMA
Unser Community-Ansatz konzentriert sich weniger darauf, Rassismus in der Gesellschaft abzubauen, sondern vielmehr darauf, den*die Betroffene*n selbst zu helfen. Wir möchten nicht nur die Idee des Mutual Aid weitergeben, sondern durch unsere Angebote, die Teilnehmer*innen direkt dazu inspirieren, ihre eigenen Projekte für die Community aufzubauen, sich auszutauschen und zu reflektieren. Dabei fließen immer wieder unsere Kernwerte ein und stehen als Fundament für alles. Wir glauben, dass jede*r dazu beitragen kann, eine positive Wirkung zu erzielen und eine starke Gemeinschaft aufzubauen, die auf gegenseitiger Unterstützung und Zusammenarbeit basiert.
ROOTS BERLIN – CHIOMA
Wir möchten nachhaltig einen Space schaffen, der uns innerhalb der Community Kraft gibt, diese Communitys in Deutschland selbst zu gestalten und aufrechtzuerhalten. Der Kern liegt dabei innerhalb der Community. Ein Gemeinschaftsgefühl, das uns aufatmen lässt, dass wir nicht alleine sind. Egal, wo wir sind. Dass wir nachhaltig verstehen, dass wir Ressourcen haben, die wir für uns nutzen können. Und dass wir die gemeinsame Zeit nicht nur durch unser gemeinsames Trauma formen, sondern auch durch neue stärkende Momente gemeinsam erleben dürfen.
SUMMER OF 2030 – AMELIE
Welche Momente sind euch dabei ganz besonders in Erinnerung geblieben?
ROOTS BERLIN – NAIMA
Was mich extrem glücklich macht und immer wieder motiviert, weiterzumachen, sind die Freude, Wertschätzung und Dankbarkeit, die ich nach jedem Event oder Workshop in den Augen der Teilnehmer*innen sehe und durch ihr Feedback höre.
SUMMER OF 2030 – AMELIE
Welche Events und Workshops stehen in nächster Zeit an? Was ist euer Ziel für dieses Jahr?
ROOTS BERLIN
Unsere Organisation ist auf drei Hauptpfeilern aufgebaut: Kreativität, Sport und Wissensweitergabe. Aktuell bieten wir monatliche Kreativ-Sessions an, wie z.B. DJ-Workshops für Anfänger*innen und Malworkshops. Zudem veranstalten wir monatlich eine Sport-Session, bei der Yoga, Tanz und Fitness in wechselnden Abständen im Fokus stehen. Des Weiteren folgen 2-3 größere Events, die im Sommer und Herbst stattfinden werden.
Unser primäres Ziel mit unseren Veranstaltungen ist es, ein Gefühl von Zusammenhalt und Gemeinschaft unter den Teilnehmenden zu fördern. Darüber hinaus möchten wir die Kreativität und das künstlerische Potenzial unserer Teilnehmer*innen fördern und praktische Werkzeuge und Ressourcen bereitstellen, die ihnen helfen, mit Rassismus und Diskriminierung umzugehen. Auch möchten wir unsere Community dazu inspirieren und unterstützen, die Verantwortung für ihr eigenes Wohlbefinden und ihre Selbstfürsorge zu übernehmen. Wir glauben fest daran, dass diese Ziele von entscheidender Bedeutung sind, um eine positive, unterstützende und stärkende Umgebung für unsere Community zu schaffen.
SUMMER OF 2030 – AMELIE
ROOTS im Summer of 2030?
ROOTS BERLIN
Als Non-Profit-Organisation sind wir stolz auf das, was wir in den letzten zwei Jahren erreicht haben. Wir haben eine Community aufgebaut, die von Jahr zu Jahr größer wird. Im Jahr 2030 sehen wir unsere Organisation als einen festen Bestandteil der BIPoC Gemeinschaft. Wir möchten weiterhin unsere Arbeit ausbauen und verbessern, indem wir unsere Angebote erweitern und unsere Unterstützung für die BIPoC Community vertiefen. Wir sind zuversichtlich, dass unsere Vision in den kommenden Jahren Wirklichkeit wird und freuen uns darauf, mit unserer Community gemeinsam zu wachsen.
(03.05.2022)
*C. Edmondson, Amy: The Fearless Organization. Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth, Vahlen, Franz, 2020.
*Kurt, Şeyda: Radikale Zärtlichkeit – Warum Liebe politisch ist, Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, 2021.
Alle Fotos
© Johanna Berghorn
Instagram ROOTS Berlin
Webseite ROOTS Berlin