SEBASTIAN MÜLLER VON BALKON.SOLAR E.V. – PHOTOVOLTAIK AUF DEM BALKON

 

Wir sind immer auf der Suche nach Menschen, die sich mit Veränderung und Handlungsfähigkeit auseinandersetzen. Heute sprechen wir mit Sebastian Müller von Balkon.Solar e.V., den wir auf der re:publica 2022 beim Balkon.Solar Upcycling Workshop kennengelernt haben. Balkon.Solar e.V. ist eine Initiative, die uns daran erinnert, dass wir stets Mitgestaltungsmöglichkeiten haben.

SUMMER OF 2030 – AMELIE GR. DARRELMANN

Was ist ein Balkonsolargerät?


BALKON.SOLAR E.V. - SEBASTIAN MÜLLER

Ein Balkonkraftwerk, Balkonsolaranlage oder Guriella-PV-System, ist eine Solaranlage mit ein bis zwei Solarpanels, das sind diese blau-silbernen oder schwarzen Platten, und einem Kleinwechselrichter oder Microinverter. Das Solarpanel erzeugt Gleichstrom und der Wechselrichter macht daraus Wechselstrom, den wir dann über eine Außensteckdose in das Stromnetz in unserer Wohnung einspeisen. Dazu gehören in der Regel noch eine und für viele ein Messgerät.

Im Gegensatz zu einer großen Solaranlage auf dem Dach kann man so eine kleine Anlage einfach selbst aufhängen, einstecken und braucht bei einer einigermaßen modernen Elektrik im Haus auch keine:n Elektriker:in. So eine halbwegs moderne Elektrik erkenne ich daran, dass der Zähler in einem weißen Kasten ist und nicht einfach so im Raum rumhängt. Vorher sollte ich auch noch mal testen, was sonst an dieser Außensteckdose hängt. 

Die Geräte in der Wohnung ziehen erstmal den Strom von der nächsten Quelle, also unserem Balkonsolargerät. Erst wenn der nicht reicht, weil wir vielleicht gerade kochen oder heißes Wasser erzeugen, also viel Strom benötigen, dann ziehen wir Strom aus dem Netz. Wenn wir weniger Strom verbrauchen, als wir gerade erzeugen, dann speisen wir den ins allgemeine Stromnetz ein. Wir verzichten auf die Einspeisevergütung, denn das wären sowieso nur wenige Euro im Jahr. Der Aufwand für die Abrechnung übersteigt in der Regel den Ertrag. 

Die finanzielle Einsparung ergibt sich aus dem geringeren Verbrauch. In der Grundversorgung liegt man bei der Badenova bei 0,519 €/kWh, die Stadtwerke Pforzheim wollten 1,076 €/kWh, mußten aber nach Prüfung durch die Kartellbehörden zurückrudern. Für Neuverträge zahlt man bei seriösen Ökostromanbietern mit eigner Produktion derzeit um die 0,51 €/kWh. Da rechnet sich Balkonsolar immer schneller. 

Wie schnell sich das rechnet, hängt von vielen Faktoren ab: Wie hoch ist mein Verbrauch, wenn gerade die Sonne scheint? Wie viel Sonne habe ich an dem Ort, an dem ich das Modul aufhängen oder aufstellen kann? Pauschal kann man sagen, etwa 10% des eigenen Stromverbrauchs kann man einsparen. Auch wenn man tagsüber nicht daheim ist, lohnt es sich, denn man hat ja Geräte, wie den Kühlschrank, welche auch dann laufen. Ich darf sagen: Solange man einen Balkon hat und das Solargerät nach Süden, Westen oder Osten ausgerichtet ist, wird es sich lohnen. Die Frage ist nur nach wie viel Jahren. Auf der Website von Volker Quasching gibt es einen Rechner, mit dem sich das besser abschätzen lässt.

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Eine Mini-Photovoltaik-Anlage ist also eine gute Möglichkeit, persönlich etwas zu den Klimaschutzzielen beizutragen und die CO2-Emissionen zu reduzieren. Seit wann beschäftigst du dich mit dem Themengebiet und was war dein persönlicher Impuls, um aktiv zu werden?

BALKON.SOLAR E.V. - SEBASTIAN

Mit dem Thema Balkonsolar beschäftige ich mich seit 2018. Darauf gestoßen bin ich, weil wir das in der Solargeno einer Freiburger Solargenossenschaft diskutiert haben.

Übrigens kann ich allen Menschen raten, etwa bei einer Bürgerenergiegennossenachaft vor Ort Mitglied zu werden, wenn sie etwas Geld über haben, das sie sinnvoll investieren wollen. Das geht auch, wenn man daheim kein Balkonsolar aufstellen kann. 

Eigentlich komme ich vom Technikbasteln zu dem Thema, vorher habe ich mich am Bau von Feinstaubsensoren begeistert und ein offenes Netz für das Internet der Dinge vorangetrieben. Daraufhin hat mich unser lokaler Energieversorger als Bürger in eine Gruppe eingeladen, die sich um das Thema kümmern sollte. Wir haben uns über ein Jahr regelmäßig getroffen und sowohl technische, organisatorische als auch andere Fragen diskutiert. Daraus entstand zum einen die Balkonsolar Gruppe, die unser Balkon.Solar e.V. wurde und zum anderen der Anbieter Grünhausenergie der inzwischen keine Mini-PV-Anlagen mehr vertreibt, sondern innovative Mini-PV-Erweiterungen, wie z.B. Solarboiler, im Angebot hat.

Ich bin auch schon lange Teilhaber in verschiedenen Ökostrom-Genossenschaften und organisiere auch mal Pro-Windkraft-Demos in Schwarzwalddörfern.

Auch sonst versuche ich CO2-Ausstoß zu vermeiden, genieße reisen mit dem Zug und besitze ein gebrauchtes Elektroauto. Übrigens ist das auch finanziell günstiger. Ein Benzinwagen könnte ich mir gar nicht leisten. Nach 130.000 km hat die Batterie immer noch 92 % der Leistung. Ich vermute, dass eher die mechanischen Teile kaputt gehen als die Batterien bei den Autos, die man dann ja noch daheim als Speicher weiter nutzen kann. Ladesäulen gibt es inzwischen genug und man kann sich auch mal den Laptop mitnehmen, ein Buch lesen oder Sport treiben, wenn man 45 Minuten lädt. 

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Viele Menschen möchten, wie ihr, etwas verändern, aber wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Kannst du uns erste Steps skizzieren, die ein privater Haushalt hin zu einer Balkonanlage gehen muss?

BALKON.SOLAR E.V. - SEBASTIAN

Schritt eins: sich informieren, etwa auf unserer Homepage.

Schritt zwei klären: Habe ich einen Balkon, eine Terrasse, ein Vordach mit Außensteckdose? 

Schritt drei: Vermieter:in kontaktieren und berichten, dass ich ein Balkonsolargerät aufstellen will. Wir haben dazu ein Anschreiben auf unserer Website. Wenn ich es nur auf dem Balkon oder der Terrasse platzieren will, dann brauche ich nicht mal das.  

Schritt vier: bestellen. Da muss ich im Moment ein wenig suchen und oder mich auch auf Wartezeiten einstellen. Mein Tipp wäre, etwa bei MachDeinenStrom nachzuschauen. Die versuchen immer aktuell günstige Angebote zusammenzustellen. 

Schritt fünf: Freund:innen einladen, die beim Aufstellen helfen.  

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Wir mögen euren Open-Source-Gedanken. Hast du eine Idee, wie auch sozial benachteiligte Menschen ohne Balkon und geringen finanziellen Möglichkeiten, Teil der Bewegung werden können? 

BALKON.SOLAR E.V. - SEBASTIAN

Ohne Außensteckdose wird es erstmal aufwändig: Man braucht Elektriker:innen, die eine verlegen. In vielen Städten gibt es aber für den normkonformen Anschluss Förderprogramme. Darüber kann man sicher einen Teil finanzieren.

Aus Karlsruhe habe ich von einem spannenden Projekt gehört: Dort hat eine Gruppierung im Stadtrat vorgeschlagen, finanziell Benachteiligte mit passendem Balkon ein Balkonsolargerät nach einer Energieberatung dauerhaft zu leihen.

Zusammen mit dem Verein Solare Zukunft und dem fesa e.V. in Freiburg haben wir ein Upcycling-Projekt auf die Beine gestellt: Wir machen aus alten Solarpanels, die vom Dach runterkommen, neue Balkonsolar-Geräte. Das senkt den Preis und über eine Förderung des Klimaquartier Waldsee konnten wir den Preis nochmal deutlich drücken. Da haben sich auch einige pfiffige Studierende mit wenig Geld beteiligt. Leider muss man aber feststellen, bisher ist es eher eine Angelegenheit mittelalter weißer Männer. Eine Aufgabe ist es, dieses Thema auch anderen Teilen der Gesellschaft zugänglich zu machen. 

Deshalb freut es mich, dass z.B. in diesem Hochhaus in Freiburg Weingarten, das ist ein Stadtteil, wo eher finanziell benachteiligte Menschen wohnen, bereits einige Geräte hängen. Und häufig wirkt ja so ein Gerät in der Nachbarschaft ansteckend. 

Ich hoffe, sozialpolitische Gruppen denken sich da noch einige kluge, pragmatische Projekte aus. Schließlich ist das nicht teuer: Für 500€ pro Wohneinheit könnte man da schon was machen. Da könnten Wohnungsbaugesellschaften schnell was unternehmen. Das wäre gut für die Mieter:innen, bringt gute Presse und steigert das Image.

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Wir sehen viel Potential in Balkonsolargeräten, allerdings hast du von Lieferengpässen gesprochen. Welche bürokratischen und politischen Hürden gilt es zu beachten?

BALKON.SOLAR E.V. - SEBASTIAN

Richtig. Seit Russland seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf das gesamte Territorium der Ukraine ausgeweitet hat und nicht nur in den 2014 annektiertem Gebieten wütet, ist die Nachfrage deutlich angestiegen. Dazu kam schon vorher ein steigendes Bewusstsein für Klimafragen. 

Anbieter:innen berichten, sie hätten bis Mitte 2022 das Dreifache des Absatzes des Jahres 2021 gehabt und eine Marktsättigung ist nicht in Sicht.

Während Halterungen und Solarpanels ausreichend verfügbar sind, gibt es Lieferschwierigkeiten bei den Kleinwechselrichtern. Das hat mit der stark steigenden Nachfrage und Schwierigkeiten in den Lieferketten zu tun. Dazu kommen noch Probleme beim Versand der Container aus einigen chinesischen Häfen. Leider gibt es keinen wirklichen europäischen Wechselrichterhersteller, (also) der die Geräte auch wirklich in Europa herstellt und nicht nur eine Endmontage betreibt. Bei Solarpennels haben wir glücklicherweise deutsche Hersteller. Ich kann nur hoffen, das wir politisch unsere Märkte so einrichten, dass sich die Produktion - nicht nur für Wechselrichter, auch für Schutzkleidung, Verbandsmaterial, Medikamente, etc. … - in Europa wieder lohnt.  

Es gibt Geräte, wenn auch auf einem hohen Preisniveau, aber mit etwas Suchen und Geduld kommt man ran. Zudem sind auch neue Player:innen in den Markt eingestiegen, etwa ramschige Versandhändler:innen oder Baumärkte.

Bei MachDeinenStrom gibt es immer eine Übersicht über die aktuellen Angebote, auch auf unserem Twitter-Account weisen wir immer wieder mal darauf hin.

Seit ich mich mit dem Thema Balkonsolar beschäftigte, erlebe ich, wie die Hürden für die Kund:innen von engagierten Menschen bei Balkonsolarfirmen, bei Energieversorgern, von der Zivilgesellschaft oder Aktivist:innen zu Fall gebracht werden. 

Am Anfang war z.B. das Thema Aufhängen am Balkon total schwierig. Jeder musste selbst was basteln. Inzwischen gibt es clevere Unternehmer:innen, die gute und zertifizierte Halterungen anbieten. Etwa Mark Schammel aus Freiburg, der auch bei uns im Verein Mitglied ist, oder Dominik Illenberger mit SOLAR PEAK.

Für Leute, die nicht aufhängen wollen, gibt es dank des Makers Guido Burger eine gute Anleitung zum Basteln von Solartischen und wir arbeiten mit Grünhausenergie und der Freiburger P3 Werkstatt, einem gemeinnützigen Betrieb für die Qualifizierung Geflüchteter, an einer Lösung zum Kaufen. Ich denke, da lohnt es sich mal bald solartable.de zu checken.

Immer mehr Netzbetreiber haben gescheite und unbürokratische Ein-Seiten-Anmeldeformulare und stehen dem offen gegenüber. Große Medien, wie der Spiegel und das Heise Magazin haben berichtet, damit noch mal deutlich recherchiert und viele Dinge geklärt. 

Auch bei der Norm sind wir zumindest in einer Diskussion um die dort vorgesehene, aber unnötige Einspeisesteckdose. Da treibt etwa Hermann Laukamp vom ISE die Diskussion im Normungsgremium voran und weißt darauf hin, dass es sich hier um eine deutsche Besonderheit handelt. In der Schweiz oder Österreich steckt man einfach ein und braucht keine besondere Steckdose mit Elektriker:in-Beschäftigungsprogramm.

Zusammen mit Christian Offenhäusle von Empowersource sind wir auch beim Lobbying von Politiker:innen aktiv und wollen eine Bagatellgrenze, sodass auch die theoretische Pflicht zum Anmelden bei der Bundesnetzagentur entfällt.

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Kennst du andere Multiplikatoren, zirkuläre Kreislaufe oder DIY Konzepte, die auf Klimaschutzziele einzahlen und CO2-Emissionen reduzieren? Siehst du hier Schnittstellen und Möglichkeiten der Vernetzung, um gemeinsam die Klimakrise anzugehen?

BALKON.SOLAR E.V. - SEBASTIAN

Ja, klar. Wir sind ja mit diversen Bürger-Energie-Genosssenschaften vernetzt: der Solargeno in Freiburg, der EWS in Schönau, den Bürgerwerken Titisee und Greenplanet Energy in Hamburg.

Die Solargeno hat mich auf das Thema gebracht und die EWS finanziert uns gerade diverse Workshops sowie ein Balkonsolar Magazin. Im kommenden Jahr soll es in ganz Deutschland eine Reihe von Train-the-Trainer Seminaren geben. Da werden wir uns nochmal mit mehr Initiativen vernetzen und so hoffentlich das Thema “Solarmodule recyceln” noch populärer machen. 

In Freiburg gibt es noch den Verein Solare Zukunft mit dem wir diverse Upcycling-Projekte machen. 

Unsere Mitglieder sind Leute, die bei der Solarberatung des Landkreises oder der hiesigen Energieagentur arbeiten. Wir beraten uns und diskutieren ja immer auch mal neue Ideen für Dienstleistungen oder Produkte mit Balkonsolarunternehmen. 
Guido Burger hat ein spannendes Projekt vorgestellt, bei dem man sich anzeigt, ob der Strom aus der Steckdose gerade viel CO2 verursacht oder nicht. Dazu eine Steckdose, die angeht, wenn gerade CO2-armer Strom im Netz ist.

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Balkon.Solar e.V im Summer of 2030?

BALKON.SOLAR E.V. - SEBASTIAN

Ich glaube bis 2030 findet sich an fast jedem Balkon oder Häuserfassade ein oder mehrere Solarpanels. Vielleicht auch in Form einer stromerzeugenden Folie, die man auf Fassaden kleben oder spannen kann. Solarmodule werden auch immer leichter, sodass sie dem „Sichtschutz“, den man sowieso an oder vor den Balkon hängt, immer ähnlicher werden. 

Dadurch wird es selbstverständlich sein, dass der Grundverbrauch von Wohnungen oder Häusern selbst abgedeckt wird. Zudem steigt unser Stromverbrauch durch die Sektorkopplung.

Heute verbrennen wir Öl für Mobilität, die werden wir in Zukunft mit Strom betreiben. Die Kombination aus Akku- und Elektromotor wird sich in fast alle Anwendungsbereiche durchsetzen/ vom Auto, zum Fahrrad, über den Zug, bis hin zum LKW. 

Sicherlich hat man bis dahin auch bezahlbare und brauchbare Systeme mit Batterien zur Speicherung im Haushalt und/oder Wärmepumpen zum Heizen und Kühlen. 

(18.09.2022)



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© Sebastian Müller

Balkon Solar



 
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