TINY FARMS MIKROFARMEN – EINE ALTERNATIVE

 

SUMMER OF 2030

Tiny Farms produziert und vermarktet Biogemüse in einem wachsenden Netzwerk digital verbundener Mikrofarmen. Was hat euch dazu bewogen, Tiny Farms zu gründen?

TINY FARMS – JACOB FELS

Ich bin Wirtschaftswissenschaftler und habe mich im Studium mit nachhaltiger Unternehmensführung auseinandergesetzt. Als Berater habe ich mich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Lebensmittelbranche befasst. Der Fokus lag dabei auf Klimaschutz, Lieferketten, Verpackung, Work-Life-Balance, Vereinbarkeit mit Familie und Beruf. Nach zehn Jahren hatte ich das Gefühl, dass es jetzt reicht. Ich habe anderen Leuten lang genug erzählt, wie es geht. Jetzt möchte ich selber etwas machen und habe mir ein Sabbatical gegönnt. In dieser Zeit habe ich in der Politik mitgewirkt und viel für die Grünen gemacht. Der Berliner Senat hatte damals entschieden, dass das Schulessen von der ersten bis zur sechsten Klasse einen höheren Bioanteil haben soll. Diesen Prozess habe ich mitbegleitet und dabei meinen Mitgründer von Tiny Farms, Tobias Leiber, kennengelernt, der damals im Bundestag für die Grünen gearbeitet hat. Wir haben viel diskutiert und vertraten beide den Ansatz: Bio in der Schulverpflegung ist gut, aber das kann noch nicht alles sein. Damit lösen wir keine Probleme in der Landwirtschaft, sondern setzen so erst einmal nur den ersten Baustein.

Für mich geht es um einen positiven Impact in dem Bereich, in dem ich mich eigentlich schon immer bewege, nämlich Ernährung. Ich wollte selber in die Verantwortung gehen und nicht immer nur anderen Leuten einen guten Tipp geben. Das ist das, was mich immer noch motiviert. Sozusagen, dass wir mit den Ideen, die wir entwickelt haben, mit dem Unternehmen, das wir gegründet haben, in der Landwirtschaft eine Alternative darstellen zu dem, was es sonst gibt. Wir können sie nicht ersetzen, aber wir können eine neue Auswahlmöglichkeit zu ihr bieten.

SUMMER OF 2030

Eure Alternative baut auf einem Drei-Säulen-Konzept bestehend aus Tiny Farms Anbau, Tiny Farms Software und Tiny Farms Academy auf. Erzähl gerne mehr dazu.

TINY FARMS – JACOB

Bio ist gut, aber zu einer nachhaltigen Ernährung gehört auch das Thema Regionalität. Nicht nur wegen geringer Transportdistanzen, sondern vor allem wegen der Beziehungen, die daraus entstehen. Wir glauben, dass es zwischen Erzeuger:innen, Verarbeiter:innen, Konsument:innen Beziehungen braucht, um insgesamt nachhaltig zu wirtschaften. Wir haben in der ersten Saison Rucola angebaut und dieser hatte Löcher von einem Erdfloh. Das ist ganz normal für Rucola im Bioanbau. Das ist weder geschmacklich noch gesundheitlich ein Problem, aber optisch sieht es nicht so gut aus. Dadurch, dass wir eine enge Beziehung zu den Köch:innen haben, die unseren Rucola bezogen haben, konnten wir gemeinsam überlegen, was wir daraus machen können. Das Ergebnis war, dass sie aus dem Drittel ohne Löcher Salat gemacht und aus den zwei Drittel mit Löchern ein Pesto kreiert haben. So konnten wir all das, was auf dem Feld gewachsen ist, wo unsere Gärtner:innen Arbeit, Zeit, Energie und Geld reingesteckt haben, trotzdem noch verwerten. Und das war nur möglich, weil wir eine enge Beziehung und Vertrauensverhältnis zu unseren Partner:innen pflegen. Bio und Regionalität in diesem erweiterten Sinne sind also wichtig. Darüber hinaus haben wir uns viel mit der Agrarstruktur in Brandenburg und deutschlandweit beschäftigt. Dabei haben wir schnell festgestellt, dass es ganz wenig Menschen gibt, die noch in die Landwirtschaft gehen. Es gibt das große Thema Höfesterben. Landwirtschaft ist aus irgendeinem Grund nicht wirklich attraktiv für Menschen. Die Leute finden sie irgendwie dunkel, abtörnend und denken dabei an Umweltschutz und Tierquälerei. Auf der anderen Seite haben wir festgestellt, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich gerade total für Ernährung, Umwelt, Natur, mit den Händen arbeiten, Gesundheit und Selbstwirksamkeit interessieren. Das Interesse ist da, aber irgendwie kommt es nicht zusammen.

SUMMER OF 2030

Woran könnte das liegen?

TINY FARMS – JACOB

Es gibt unterschiedliche Gründe. Einen Hof aufzumachen, wenn dieser nicht geerbt oder geschenkt wurde, ist eine finanzielle Belastung. Land wird immer teurer und es gibt kaum noch welches zu kaufen, auch die ganze Infrastruktur in der Landwirtschaft ist wahnsinnig teuer. Die Möglichkeiten, damit viel Geld zu verdienen, sind auch gering.

Das ist auch ein Grund, warum wir mit ganz kleinen Flächen (bis zu einem Hektar) arbeiten. Sie sind günstiger, weil sie eine sehr geringe Infrastruktur brauchen. Keine großen Traktoren, keine großen Gebäude, keine dauerhafte Bewässerung. Die Einstiegshürden werden automatisch viel niedriger. Kleine Flächen werden einfacher gefunden. Ca. 20.000,00 € müssen investiert werden. Das ist wirklich wenig in der Landwirtschaft.

Stellt sich auf der anderen Seite natürlich sofort die Frage, wenn ich auf so einer kleinen Fläche arbeite, ist das betriebswirtschaftlich sinnvoll? Nicht umsonst werden die ganzen Höfe immer größer und größer, einfach weil sie economies of scale nutzen.

SUMMER OF 2030

Dieses Wachstum geht mit vielen Kosten für komplizierte Vertriebsnetze, Löhne, Infrastruktur, Versicherungen usw. einher. Welchen Ansatz verfolgt ihr?

TINY FARMS – JACOB

Wir schließen unsere kleinen Flächen zusammen, indem wir sagen, auf der Fläche wird individuell gearbeitet, aber Dinge, die wir zusammenfassen können, wie Beschaffung, Marketing, Vertrieb, Zertifizierung, Buchhaltung, Abrechnung usw. versuchen wir, in einem Netzwerk zu machen. Und da kommt die zweite Säule ins Spiel: Unsere Software, die wir gerade entwickeln.

SUMMER OF 2030

Für was genau soll die Software eingesetzt werden?

TINY FARMS – JACOB

Die Software hat zwei Funktionen: Sie ist ein Planungs- und Task-Management-Tool und sie erlaubt es, die Beschaffung und die Produktion von mehreren Farmen zusammenzuziehen.

SUMMER OF 2030

Nun zu eurer dritten Säule, der Tiny Farms Academy.

TINY FARMS – JACOB

Aufgrund des Fachkräftemangels im Erwerbsgemüsebau haben wir gesagt, wir wollen eine Akademie gründen, die keine landwirtschaftliche Berufsausbildung ersetzt, sondern Menschen, die in anderen Kontexten unterwegs sind, die ein Interesse an Landwirtschaft, Ernährung und Gartenbau haben, dazu befähigt, in diesem Netzwerk Landwirtschaft oder Gartenbau im Kleinen zu betreiben.

SUMMER OF 2030

Tiny Farms Academy dient sozusagen als Inkubator für Neugründungen in der Landwirtschaft, da ein Wandel zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft nur gemeinsam zu meistern ist.

Ich höre dabei viele Ansätze aus dem Bereich Neues Arbeiten und Agilität heraus. Verteiltes Wissen nutzen, Netzwerkstrukturen, wertschätzender Umgang mit Fehlern (wie beim Rucola-Anbau), Dezentralisierung, Selbstorganisation, lebenslanges Lernen, Sinnhaftigkeit usw.

TINY FARMS – JACOB

Ja, genau. Wir stehen für New Work & New Farming. Wir versuchen, Landwirtschaft aus einer anderen Perspektive zu beleuchten. Wir zeigen auf, dass es nicht wie in der klassischen Landwirtschaft sein muss, auf einer Scholle zu wohnen, 24/7 zu arbeiten, nicht in den Urlaub fahren zu können, sondern dass es auch möglich sein muss, es in Teilzeit zu machen, weil Aufgaben im Team/Netzwerk geteilt werden. Es sollte auch möglich sein, zu sagen, dass ich keinen Bock habe, am Wochenende zu arbeiten, da ich auch noch andere Interessen habe. Es geht darum, neue Lösungen zu erarbeiten, Technik zu nutzen, dass die Bewässerung am Wochenende z. B. automatisch passiert oder das Team so gut zu organisieren, dass es effizient zusammenarbeitet, ohne die ganze Zeit anwesend sein zu müssen.

Bisher funktionieren unsere kleinen Experimente gut. Letztes Jahr haben fünf bis sechs Quereinsteiger:innen, die vorher alle kein landwirtschaftliches Know-how hatten, eine Farm von einem halben Hektar bewirtschaftet und dabei professionell übliche Erträge erzielt. Das Team hatte richtig viel Spaß und hat die Arbeit in seinen üblichen Alltag - zwischen Werbeagentur, Fotografie, Studium - integrieren und als Bereicherung mit in sein Leben bringen können.

SUMMER OF 2030

Wie kann ich denn Farmerin bei euch werden?

TINY FARMS – JACOB

Wir bieten eine Academy (Anmeldung über die Website) mit zehn Lerneinheiten an. Diese macht einen fit für die eigene Farm. Wer aber schon fit ist, kann auch so mit uns eine neue Farm gründen.

SUMMER OF 2030

Der Zusammenschluss von Mikroformen, Kostenreduktion und Flexibilisierung durch die radikale Minimierung von Flächenbedarf, Investitionen und Ressourceneinsatz mit einem lernbereiten Netzwerk sowie der Einsatz eurer Software ermöglichen euch, neben Großbetrieben zu bestehen?

TINY FARMS – JACOB

Das ist genau die Idee dabei. Wir sind ja jetzt in der zweiten Saison. In der ersten haben wir eine Farm gehabt, im letzten Jahr haben wir zwei gemacht. Jetzt haben wir vier. Wir merken, dass der Unterschied zwischen ein und zwei Farmen wirklich marginal ist. Bei vier Orten wird der Aufwand ein bisschen mehr, weil die Komplexität steigt, aber auch nicht viel mehr. Diese Erfahrungen zeigen uns, dass wir durch eine geschickte und effiziente Verknüpfung in der Zukunft wettbewerbsfähig mit den Großen sein können.

SUMMER OF 2030

Geht es euch in erster Linie um Wettbewerbsfähigkeit?

TINY FARMS – JACOB

Nein, wir differenzieren uns gegenüber unseren Kunden nicht durch den Preis. Wir werden nicht für Discounter noch günstigeren Biosalat produzieren. Das ist auf keinen Fall unser Segment. Wir haben letztes Jahr viel für den Naturkostfachhandel, z. B. die LPG in Berlin, produziert. Unsere Zielgruppe sind Kunden, die mehr auf Qualität und Nachhaltigkeit achten als im klassischen Handel.

SUMMER OF 2030

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf das Thema New Work eingehen. Bisher haben wir über Neues Arbeiten nur im Kontext von Produktion und Vertrieb gesprochen. Wie sieht es in eurer täglichen Zusammenarbeit innerhalb der Organisation aus?

TINY FARMS – JACOB

Wir haben momentan noch ein sehr kleines Team, außer im Gartenbau.

Ich habe keine Lust darauf, hier den Chef zu machen. Ich bin jemand, der starke Visionen hat und die Fähigkeit besitzt, Menschen zu begeistern, dabei mitzumachen. Möglichkeiten und Potentiale sichtbar zu machen und zu fördern. Ich bin ein großer Fan von Selbstverantwortung und würde mich in meiner Position als Geschäftsführer und Founder eher als Ermöglicher betrachten und nicht als einsame Spitze. Im Gartenbau ist das ganz stark so, da habe ich auch nicht das Know-how. Die Gärtner:innen, die die Fachkompetenz haben, entscheiden eigentlich das meiste selber. Wie, wo und wann sie etwas machen. Da diskutieren wir meistens das Ergebnis. Das und das wollen wir anbauen, in dem Zeitraum, ist das für euch möglich und dann stellen sie die Sachen dafür bereit.

Tobias Leiber und Jacob Fels – Gründer und Geschäftsführer von Tiny Farms

SUMMER OF 2030

Dann lass uns doch gleich bei Visionskraft bleiben. Tiny Farms im Summer of 2030?

TINY FARMS – JACOB

Wir haben zwei Sachen. Die eine ist, dass wir die starren Pfade in die Landwirtschaft aufbrechen möchten. Wir möchten das Ganze niedrigschwelliger und durchlässiger gestalten, weil wir glauben, dass wir mehr regionale Produktion in der Landwirtschaft brauchen und weil wir auch glauben, dass es den Menschen guttut, wieder in Verbindung mit dem zu kommen, was sie essen, was sie tun und wie sie leben.

Und die zweite: Es wäre total cool, wenn sich Tiny Farms zu einer Bewegung entwickelt. Wenn es ganz viele Tiny Farms geben würde, wo ein- bis zweimal in der Woche oder eben alle zwei Wochen, nicht nur für sich, sondern auch für die eigene Community, frisches regionales Biogemüse produziert wird.

(30.01.2022)

Instagram: Tiny Farms

Fotos: 1-4 Carla Ulrich, 5 Jule Felice Frommelt

 
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